„Bei einem meiner Mandanten, einem Dachdecker, gab es einen Unfall“, erzählt René Zerwas, Geschäftsführer und Senior Partner der Effekt Unternehmensgruppe. Ein Mitarbeiter arbeitete auf einem Flachdach und fiel durch eine nicht ausreichend gesicherte Lichtkuppel. „Der 32-Jährige ist seitdem querschnittsgelähmt und bezieht 2.700 Euro Rente von der Berufsgenossenschaft, bis zu seinem regulären Renteneintritt.
Mit Operation und Reha, die rund 350.000 Euro gekostet haben, summieren sich die Gesamtausgaben auf 1,35 Millionen Euro. Und die fordert die Berufsgenossenschaft (BG) nun vom Dachdecker-Unternehmer zurück“, erzählt der Versicherungsexperte.
Regress nach einem Arbeitsunfall schützt die Versichertengemeinschaft
Dieses Verfahren heißt Regress und bezeichnet den Rückgriff auf den Verursacher eines Schadens, um die entstandenen Kosten zurückzufordern. Die BG versucht also, die Kosten eines Arbeitsunfalls von einem Dritten zurückzuholen, wenn dieser den Unfall durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten verursacht hat. Ihr Argument: Nur durch den Regress kann sie die Pflichtbeiträge zur BG relativ konstant halten.
„In der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) sind unter anderem rund 3,1 Millionen Versicherte, die über die gewerblichen Berufsgenossenschaften Mitglieder sind. Im Jahr 2023 verzeichnete sie 10.283 schwere Arbeitsunfälle, bei denen sie eine Rente oder ein Sterbegeld zahlen musste. So die Statistik auf der Homepage der DGUV. Tatsächlich scheint es im Interesse aller Mitglieder, den Regress durchzuführen. Denn die Aufwendungen der BG in einem Geschäftsjahr, werden, wenn sie nicht durch Erträge gedeckt sind, jährlich nachträglich auf die Unternehmen in der gewerblichen Wirtschaft umgelegt.
So geht Regress nach einem Arbeitsunfall
„Die BG leitet ein Regress-Verfahren ein, wenn es Hinweise darauf gibt, dass der Arbeitsunfall durch grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz verursacht wurde. Das sind vor allem Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften oder Sicherheitsmängel, die bewusst ignoriert wurden“, erklärt René Zerwas. Nach jeder Unfallmeldung untersucht die BG also das gesamte Setting am Unfallort. Gibt es Hinweise auf Nachlässigkeiten, leitet sie detaillierte Ermittlungen ein, sichert Dokumente und Beweise, befragt Zeugen – nötigenfalls zieht sie auch Unfall- und Arbeitsschutzexperten hinzu. Findet die BG ausreichend Beweise für ein Fehlverhalten, leitet sie das Regress-Verfahren ein.
„140 Regressfälle habe ich bereits begleitet. Im Schnitt ging es dabei um 360.000 Euro – die Tragweite für den Unternehmer ist hoch“, warnt Zerwas. Zwar können Unternehmer vor dem Prozess in einer Stellungnahme ihre Sicht der Dinge darlegen und Entlastungsgründe vorbringen. „Doch sollten sie das nur in Absprache mit einem Experten tun, hier können Unternehmer bereits teure Fehler begehen“, weiß der Versicherungsexperte. Oftmals versuchen die Beteiligten vor dem gerichtlichen Regress eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Gelingt dies nicht, entscheidet das Gericht über die Höhe der Zahlung, die der Unternehmer leisten muss. „Und tatsächlich führen diese Urteile oft zur Insolvenz der Betriebe und manchmal auch zu Freiheitsstrafen für den Unternehmer“, weiß Zerwas.
Sie glauben, Sie haften nicht bei einem Arbeitsunfall? Ein teurer Irrtum
„Letztlich schützt den Unternehmer nur eine fortlaufende Gefährdungsbeurteilung“, stellt Zerwas klar. „Wer denkt, seine Rechtsform schützt ihn vor einer Haftung, der irrt. Denn der Regress richtet sich immer an den Unternehmer und auch an sein Privatvermögen, nie an das Unternehmen“, informiert Zerwas. Und der Versicherungsexperte räumt mit einem weiteren Irrtum auf: „Es zählt der Einzelfall. Die Argumentation: ‚Ich habe sonst immer alle Vorschriften eingehalten‘, verfängt vor Gericht nicht.“ Auch wer glaubt, dass seine Betriebshaftpflichtversicherung in diesem Fall greift, sollte lieber nochmal in sein Vertragswerk schauen. Denn oftmals ist der BG-Regress ausdrücklich aus dem Leistungskatalog gestrichen.
Und es kommt noch schlimmer: Der Unternehmer haftet auch für Pflichtverletzungen seines Subunternehmers. „Deshalb sollte sich ein Generalunternehmer immer die Gefährdungsbeurteilung der Subunternehmer vorlegen lassen“, rät Zerwas. Aus seiner Praxis weiß er, dass die Regress-Abteilungen der BG derzeit ausgelastet sind. Es könne also gut vier Jahre dauern – das ist die Verjährungsfrist – bis so ein Verfahren in Gang gesetzt wird. „Unternehmer, die auf Verjährung setzen, werden dann oft noch auf den letzten Metern von einer Klage überrascht.
Wie sich Unternehmer schützen können
Wer die Unfallverhütungsvorschriften kennt und einhält, ist meist auf der sicheren Seite. Wenn Unternehmer zusätzlich die Gefährdungsbeurteilungen für jede einzelne Baustelle ausfüllen, sind sie umfassend geschützt. Auch eine Directors & Officers-Police (D&O) kann einen Unternehmer vor dem BG-Regress schützen, wenn dies der Vertrag vorsieht. „Hier gibt es aber oft Leistungsausschlüsse“, warnt Zerwas. Er rät, bei einem Unfall sofort einen Fachanwalt hinzuzuziehen, „denn bereits ein falsch formuliertes Dokument, das an die BG oder das Gericht geht, kann fallentscheidend sein“, sagt er.
Ist der Unfall aufgrund menschlichen Versagens des Mitarbeiters geschehen, haftet die BG und stemmt auch die Kosten abschließend.
So geht eine strukturierte Gefährdungsbeurteilung
Drohender Regress bei einem Arbeitsunfall soll Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften bewirken
„Für Handwerksbetriebe bedeutet dies, dass sie ihre Sicherheitsstandards stets auf einem hohen Niveau halten und regelmäßig überprüfen sollten, um Regressforderungen vorzubeugen“, sagt Zerwas. Am besten sei es, wenn Unternehmer ihre Organisationsstruktur so aufstellen, dass sie den Arbeitsschutz automatisch mit bedenken. Vorlagen zur Gefährdungsbeurteilung gibt es auf der Homepage der BG Bau oder BG Etem.
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